Sollten Künstler nicht produzieren, anstatt zu bloggen?

Ja.

Doch Kunst ist Kommunikation. Kunst muss geteilt werden, sonst ist sie sinnlos. Deshalb beginne ich diesen Blog. Ich will versuchen, einige der Geschichten und Gedanken hinter meiner Arbeit zu teilen. Einen heimlichen Blick gewähren hinter die Kulissen…

Es geht um Künstler ganz unterschiedlicher Sparten, um unkonventionelle Ideen, fehlendes Geld und um das anachronistische Streben nach maximaler künstlerischer Aufrichtigkeit. Es geht um die Welt in der wir leben…

Aber es kostet Überwindung! Als Musiker ist man von klein an darauf abgerichtet, der Öffentlichkeit ausschließlich perfekte Endprodukte zu präsentieren. Der ganze Hochglanz-Markt der Abteilung Klassik basiert auf der Illusion übermenschlicher Perfektion. Man arbeitet Monate, manchmal Jahre im stillen Kämmerlein, bis ein neues Programm reif ist, zum ersten Mal öffentlich aufgeführt zu werden. Diese Prägung will ich durchbrechen und die Türe zu meinem Gedankenlabor einen Spalt weit öffnen…

Warum rennen mehr Leute ins Fußballstadion als in die Oper? Weil die Emotionen im Stadion unmittelbar geteilt werden. Und doch gäbe es in der Oper so viel mehr zu erleben! Wie zum Teufel stellt man in der Kunst Unmittelbarkeit her?

Viel Vergnügen beim Lesen!

Fabian

Fabian Dobler

Ich bin Pianist, Dirigent, Bearbeiter, Komponist und Autor.

Ich schreibe Stücke aus Klängen und aus Worten. Ich interpretiere, indem ich bearbeite. Ich versuche, die Membran zwischen Gedanke und Klang durchlässig zu machen. Mein Ideal ist die Verbindung verschiedener Künste – mit einem Ergebnis, das mehr sein sollte als die Summe seiner Einzelteile.

In diesem Blog finden Sie Gedanken und Hintergrundberichte.

Informationen über mich, Videos und Klangbeispiele finden Sie auf fabian‑dobler.de  

Woher – wohin?

In den Augen meiner Mitschüler war ich ein Spinner.

Anstatt mit ihnen in der Fußgängerzone vorm Karstadt rumzuhängen, verbrachte ich meine Nachmittage am Klavier. Ich entfloh in die Welten von Chopin, Brahms und Beethoven. In einigen Stunden konnte ich hier unendlich viel mehr erleben als in der frustrierenden Realität einer Pubertät in der Kleinstadt.

Im Konzertmarkt nimmt es scheinbar niemand mehr wahr: Musik erzählt Geschichten! Sie ist nicht nur eine Abfolge hoher und tiefer Töne, nein, sie spricht, sie erzählt von all dem, was uns Menschen ausmacht und bewegt. Dieses Geschichtenerzählen müsste wieder in den Fokus rücken…

Dazu allerdings müsste man den historisierenden Ansatz hinter sich lassen, mit musikalischen Werken so umgehen, wie es die Regisseure im Schauspiel schon lange tun: kürzen, umstellen, aktualisieren – aus den Werken das hervorholen, was uns heute betrifft und betroffen macht.
Oder noch weitergehen und den Film zum Vorbild nehmen. Aus Andeutungen und Zitaten einen Spannungsbogen konstruieren, der von der Neugierde und dem Mitempfinden des Publikums getragen wird.

Das finde ich spannend, das will ich versuchen!

Bach berührt mich.

weil ich mich im Jahr 1727 so gut auskenne!

Historisch unkorrekt

Historische Aufführungspraxis: Woher kommt der Glaube, dass die Uraufführung eines Werkes das Ideal ist, dem alle nachfolgenden Aufführungen nachzueifern haben?

Bevor ich mich hier auf vermintes Gelände begebe, berichte ich von Uraufführungen, an denen ich selber beteiligt war.

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Wie viele Wiederholungen übersteht ein „besonderer Moment“?

Augenblick verweile doch…

Dass Menschen geradezu süchtig nach besonderen Momenten sind, weiß man nicht erst seit Goethe. Unsere gesamte Gesellschaft ist darauf ausgerichtet, emotionale Höhepunkte zu erzeugen. Das zieht sich vom „schönsten Tag des Lebens“ über den „perfekten Urlaub“, den Gewinn eine Fußballspiels unseres Lieblingsvereins durch sämtliche Unterhaltungsformate, Literatur, Fernsehen, Kino, Theater, bis hin zu Oper und Konzert.

Wir klassischen Musiker haben mit den „besonderen Momenten“ allerdings ein wachsendes Problem.

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Was ist Wahrheit
auf der Bühne?

Wahrheit und Fiktion

(aus dem Programmheft zu „Comeback im Gegenlicht“)

Warum schreibt man ein Bühnenstück „basierend auf einer wahren Geschichte“?

Es gibt ihn wirklich, diesen Opernsänger der gerade im Moment, in dem die ganz große Karriere begann, sein Augenlicht verlor. Er ist zu stolz, das Mittleids-Etikett „der blinde Sänger“ zu nutzen. Als ich ihn kennenlernte, war er bereits durch jenes dunkle Tal geschritten, das ich in „Comeback“ beschreibe. Er war damals schon Lehrer – eher Guru, denn seine Sensibilität und Suggestivkraft in der Arbeit mit Studenten sprengen jede Vorstellung.

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Ist Denken Sprache…
und Fühlen Musik?

Geht „Musiktheater“ nur so, wie wir es kennen?

(Über die Entstehung von „Übern Berg“)

Oper ist ein Wahnsinnsmedium! Die Verbindung von Erzählung und Musik schafft Momente von fast unwirklicher Schönheit und Intensität…

Aber Oper ist auch absurd: das Ergebnis des Zusammenzwingens zweier eigenständiger Kunstformen – dramatische Dichtung und Musik – und somit ein Bündel von Kompromissen.

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Helden-Epos, geschrumpft

Die Kunst des Weglassens

Richard Strauss’ großes Helden-Epos „Guntram“ ruht in einer Schublade mit dem Etikett „zurecht vergessen“. Fälschlicherweise!

Für einen besonderen Anlass sollte ich Strauss‘ dreieinhalb-Stunden-Oper auf bezahlbare 3 Sänger, 3 Instrumente und die geladenen Gäste nicht überfordernde 35 Minuten schrumpfen. Dabei lernte ich nicht nur die Größe dieses Werkes in jedem Sinne kennen, sondern erfuhr auch, wieviel Klarheit durch Weglassen gewonnen werden kann.

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Was ist eigentlich „romantisch“?

Romantik

(aus dem Programmheft [OPERASSION] – Romantik 2.0)

Von wegen Rosen und Kerzenschein: die Romantik steht für den Anspruch der Kunst, Einfluss zu nehmen auf das Leben.

Zur Zeit der industriellen Revolution, als beim Entstehen großer Fabriken Menschen zur anonymen Masse wurden, entwarfen Literatur und Musik eine Gegenwelt. Der von technischer Machbarkeit und Kostendenken dominierten Realität setzten sie eine irrationale Sphäre der Assoziationen und Visionen entgegen. In ihr feierte das Individuum die Einzigartigkeit seiner Gefühle.

Die Parallelen zu unserer Zeit sind offensichtlich:

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Ist Instrumentation
nur Design?

Instrumentation

Design is how it works.

Dieser berühmte Satz über Industriedesign ist, bezogen auf die Musik, eine tiefe Erkenntnis: das Verhältnis zwischen Struktur (=Tonsatz) und Oberfläche (Instrumentation) ist anders als erwartet.

Musik ist Klang, Klang ist Emotion – trotzdem trennt jeder nach Qualität suchende Musiker, Kritiker oder Komponist reflexhaft die Struktur vom Klang, um sich dann auf die Struktur zu stürzen und den Klang als Äußerlichkeit links liegen zu lassen.

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Was bedeutet „gleich“?

Ausgerechnet Schubert

Ein befreundeter Autor bat mich um einen Text über Schubert. Ausgerechnet Schubert!

Seit meinem Studium habe ich wenig Schubert gespielt. Nicht, dass ich ihn nicht bewunderte – wenn ich ehrlich bin, fühlte ich mich ihm über lange Zeit nicht gewachsen.

Aber es hat dann doch Spaß gemacht, mir Gedanken zu machen…

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Ist Wahrheit,
was alle im Ohr haben?

Marlene Dietrich und die Wahrheit über Johnny

Gedanken aus der Arbeit an einer Revue über das Leben von Friedrich Hollaender.

Die Musik stammt von Friedrich Hollaender, wird aber von mir bearbeitet und für ein Quartett von Bandoneon, Geige, Klavier und Bass neu instrumentiert. Neben der Instrumentation ist auch die Bearbeitung nötig, um dem Theaterabend eine Form zu geben, die über die Aneinanderreihung einzelner Nummern hinausgeht.

Von den meisten Werken Friedrich Hollaenders sind leider nur rudimentäre Klavierfassungen erhältlich, d.h. man kann und muss sich so einiges dazu-, oder von Fall zu Fall auch weg-denken, wenn man zu einer überzeugenden Fassung kommen will. Normalerweise bearbeite ich ausschliesslich auf Basis der Partitur, aber wegen des unvollständigen Notenmaterials bin ich diesmal gezwungen, mir auch die eine oder andere alte Aufnahme anzuhören – und da beginnt das Problem:

Zum Beispiel „Johnny, wenn Du Geburtstag hast“

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Mit allen Tricks:

Video in der Oper!

Mit Musikvideo gegen die Oberflächlichkeit der Oper

Es war eine sonderbare Aufgabe: Für eine Produktion meines Opernspiels „Leporellos Tagebücher“ in Skandinavien wurde ich gebeten, einen Gastauftritt für einen Heldentenor in das vorhandene Stück einzubauen. Bei Fledermaus-Vorstellungen an Sylvester werde so etwas ja auch oft gemacht…

„Gastauftritt“ bedeutet für den dramatischen Aufbau eines Werkes normalerweise das Ende: keine Figur, die man einführen, entwickeln und die das Publikum durchs Stück begleiten kann, sondern einfach: Vorhang auf, jemand ist da und singt, verbeugt sich und ist wieder weg.

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It’s the story,
stupid!

Miss Piggy erhält Frauenrechtspreis

Ich will mich hier gar nicht auslassen über die herzerfrischend lockere Haltung des preisgebenden Komitees, auch nicht philosophieren über eine Figur, die vom Prinzen träumt und den Frosch küsst – nein die Meldung selbst steht für mich erratisch im Raum!

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